Behandlungsfehler – 800.000 Euro

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Aufgrund eines Behandlungsfehlers erlitt ein 5 Jahre altes Kind schwerste, dauerhafte Schädigungen. Für das bewusste Erleben dieser Verletzungen und der nahezu sicheren Gewissheit, dass ihn diese Beschwerden Zeit seines Lebens begleiten werden, kann ein Schmerzensgeld von 800.000 Euro angemessen sein.
 
Urteil: OLG Oldenburg, Urteil vom 18.03.2020 (Az. 5 U 196/18)
 
Zum Sachverhalt: Die Parteien streiten um Schmerzensgeld infolge ärztlicher Behandlungsfehler. Der 2006 geborene Kläger wurde im Alter von fünf Jahren unter Fieber und Schüttelfrost in das Krankenhaus der Beklagten gebracht. Erst am nächsten Tag wurden die Behandler auf großflächige dunkle Flecken im Gesicht und am Körper des Klägers aufmerksam, die sie zutreffend als hämorrhagische Nekrosen in Folge einer Meningokokkensepsis einordneten. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger bereits seit mehreren Stunden somnolent. Der zuständige Pfleger hat den Zustand des Kläger Stunden zuvor trotz entsprechender Hinweise der Mutter ignoriert und trotz der erkennbaren hämorrhagischen Nekrosen keinen Arzt hinzuzogen. In der irrigen Annahme, der somnolente Kläger schlafe, vermeintlich um ihn nicht zu wecken, verzichtete der zuständige Pfleger auch darauf, eine Braunüle wieder anzulegen. Letztes führte dazu, dass dem ohnehin durch Fieber und wiederholtes Erbrechen dehydriertem Kläger über Stunden keine Flüssigkeit zugeführt wurde.
 

Auszug aus dem Krankheitsverlauf: Diagnose einer Sepsis und eines Waterhouse-Friedrichs-Syndroms (WFS) mit Purpura fulminans; mehrwöchige lebensrettende Akutversorgung der Sepsis; Amputation beider Unterschenkel und Entfernung der rechten Kniescheibe: 2011 erste operative Revision der Stümpfe: z.Z. der mündlichen Verhandlung bislang 16 solcher schmerzhaften Revisionen, es folgten unzählige weitere; großflächiges Narbengewebe; unzählige Anpassungsoperationen (wohl über 20 – 50); drei Jahre Ganzkörperkompressionsanzug mit Gesichtsmaske für täglich 22,5 Stunden; Schulbesuch mit Integrationshelfer; i.Ü. Zurückgezogenheit; Fortbewegung z.T. auf den Armen, ansonsten im Rollstuhl.

Leitsätze:

  1. Im Fall schwerster und dauerhafter Schädigungen, die der Geschädigte in jungen Jahren bewusst erlebt und von denen anzunehmen ist, dass sie ihn lebenslang in der Lebensführung erheblich beeinträchtigen werden, kann ein Schmerzensgeld von 800.000 € angemessen sein.
  2. Das Bewusstsein um den Verlust der bisherigen Lebensqualität und die voraussichtlich lebenslange Dauer der Schädigungen sind maßgebliche Gesichtspunkte bei der Bemessung des Schmerzensgeldes.
  1. Schmerzensgelder, die wegen Verlustes der Persönlichkeit zugesprochen sind, taugen nicht als Referenzmaßstab für Fälle, in denen der Geschädigte ohne jede intellektuelle Einschränkung die Leiden und den Verlust lebenslang bewusst erlebt.

Aus den Gründen:

Bei der Bemessung der Höhe eines dem Verletzten zustehenden Schmerzensgeldes sind die Schwere der erlittenen Verletzungen, das hierdurch bedingte Leiden, dessen Dauer, die subjektive Wahrnehmung der Beeinträchtigungen für den Verletzten und das Ausmaß des Verschuldens des Schädigers maßgeblich (BGH v. 12.5.1998 – VI ZR 182/97, VersR 1998, 1034 = juris Rz. 13).Besondere Bedeutung kommt bei einem Dauerschaden dem Lebensalter des Verletzten zu, da dies maßgeblich dafür ist, wie lange sich die erlittene Beeinträchtigung auf das Leben des Geschädigten auswirkt (OLG Düsseldorf, VersR 2019, 1165 [1166]).

Nachfolgende Faktoren sind zu berücksichtigen:

  • Dauerschäden
  • Behandlungen/ Operationen
  • psychische Folgen

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Wenn Sie infolge eines Unfalles oder eines ärztlichen Behandlungsfehlers schwerstgeschädigt sind oder Ihr Angehöriger Opfer eines Unfalles geworden ist, sprechen Sie uns gern an. Wir prüfen Ihren Fall.   

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