Die Künstliche Intelligenz begegnet uns zunehmend in allen Bereichen der Wirtschaft, des täglichen Lebens und im privaten Bereich – und „dies ist auch gut so“, um es mit den Worten eines Ex-Bürgermeister Berlins zu beschreiben. Es ist von daher geradezu zwangsläufig, dass die mit enormer wirtschaftlicher Relevanz und Wirkungskraft ausgestatteten und hoch professionell arbeitenden Versicherungsunternehmen digitale Verarbeitungsprozesse bzw. KI zunehmend in ihren Arbeitsalltag implementieren und sich der Wirkungskreis ausweitet.
Den Versicherern stehen bei diesem Prozess zudem hoch qualifizierte und bestens aufgestellte Unternehmen zur Seite. Gerade im Personenschadensrecht sind seit geraumer Zeit enorme fachliche und personelle Neu-Aufstellungen zu beobachten. Insidern und informierten Kreisen sind die Unternehmen und die beteiligten Personen bestens bekannt. Die Expertise, der Einsatz und der Wirkungskreis steigen – zugleich aber auch (berechtigterweise) die Kritik an deren Arbeitsweise und den Arbeitsergebnissen.
Die Vorteile des Einsatzes digitaler Prozesse und KI sind evident: Die KI hat einen immensen Datenspeicher und kann den jeweils eigenen Versicherungs-Datenbestand mithilfe externer Datenquellen extrem ausbauen und dadurch die Datenbasis für Entscheidungen umfassend gestalten, wie nie zuvor. Außerdem ermöglichen diese (KI-)Tools den Versicherern, ihr bereits vorhandenes und fundiertes Wissen sowie den Erfahrungsschatz von langjährigen, erfahrenen Mitarbeitern zu konservieren und somit zu erhalten, auch wenn diese aus dem Unternehmen ausscheiden. Dies ist infolge des Fachkräftemangels und des vorhersehbaren Ausscheidens der Baby-Boomer-Generation ohnehin ein großes Problem und von daher mit Blick auf die Arbeitsprozesse eine geradezu zwingend notwendige und auch vollkommen richtige Schlussfolgerung.
Wir als Rechtsanwälte auf Seite der Geschädigten machen jedoch seit geraumer Zeit die (negative) Beobachtung enormer Verzögerungen in der Bearbeitung von Fällen. Zuweilen muss auf Antworten und Schriftsätze wochen- bzw. monatelang gewartet werden. Die sich einstellenden Verzögerungen werden bisweilen mit automatisierten Antworten bzw. Textbausteinen sogar vorab angekündigt. Telefonische Erreichbarkeiten des Sachbearbeiters nehmen signifikant ab. Spezielle Fragen und Aspekte des komplexen Personenschadens können angesichts automatischer Bandansagen, Ansprechpartnern in Vertretung und Sachbearbeitern im Home-Office (wohl eher „Home ohne Office“) gar nicht oder nur oberflächlich besprochen und gelöst werden. Notwendige Umsetzungen ziehen sich in die Länge und erfolgen zuweilen viel zu spät oder gar nicht. Notwendige Entscheidungen werden mangels Erreichbarkeit bzw. mangels vorhandener Kompetenz und Freigabe nicht getroffen. Substantielle Fragen und Anforderungen werden zuweilen unsubstantiiert, qualitativ unzureichend oder gar nicht beantwortet bzw. bearbeitet.
Der substantielle Austausch zum konkreten Fall und das notwendige persönliche Gespräch – in Form von Vor-Ort-Terminen und/oder Regulierungsgesprächen – verschwinden zunehmend aus der täglichen Regulierungspraxis. Eine gewisse „Dysfunktionalität“ greift um sich. Für die Aktivseite im Personenschaden hat dies zur Folge, dass (leider) öfter geklagt werden muss, um überhaupt weiterzukommen. Die Prozessquote steigt nach unserer Beobachtung signifikant an, ohne dass dies an sich sein müsste.
Sind diese Wahrnehmungen Ausfluss eines allgemeinen Phänomens in der Arbeitswelt und eines Arbeitsverständnisses, welches auch bei dem Versicherer um sich greift („wie schaffe ich mir mit wenig Aufwand viel Arbeit vom Hals?“) oder sind dies bereits die Folgen eines zunehmenden Einsatzes von Digitalisierungs-KI-Tools?
Unklar und intransparent ist leider auch, inwieweit die KI bei den Versicherungen derzeit implementiert ist. Vorreiter waren sicherlich Beitragskalkulation, Zeichnungspolitik und Betrugserkennung. Was wird aber gerade im Rahmen der Schadenregulierung erprobt? Welche Fälle werden bereits automatisch reguliert und was übernimmt die KI in der „Königsdiziplin“, die bisher nur von langjährig erfahrenen Sachbearbeitern, oft genug selbst Juristen, im Personenschaden?
Bleibt der Geschädigte auf der Strecke, wenn zunehmend die „analoge“, individuelle menschliche Intelligenz und Empathie der „digitalen Intelligenz“ weichen muss? Führt das Streben nach Effizienz und Gewinnmaximierung letztlich zu unangemessen Ergebnissen für den Geschädigten und auch allgemein betrachtet zu einem dysfunktionalen Zustand?
Wir haben derzeit den Eindruck, dass diese Entwicklung besteht und „seinen Lauf nimmt“.
Fest steht, dass wir diese Beobachtungen durchgängig in unseren Akten und unabhängig von den beteiligten Gesellschaften machen. Dabei ist die bisherige Transparenz verloren gegangen. Dazu gehören Regulierungsgrundsätze, Zuständigkeiten, Eskalationsmöglichkeiten und schlussendlich auch Verantwortliche, die in Ausnahmesituationen „Flagge gezeigt haben“ und Entscheidungen getroffen haben (damit sind sowohl positive wie auch ablehnende gemeint!).
Künstliche/digitale und analoge Intelligenz sollten „Hand in Hand“ verantwortungsvoll Einsatz im Personenschadensrecht finden – nur dies führt nach unserem Dafürhalten im Ergebnis zu einer „Win-Win-Situation“, die den Anforderungen und der großen Verantwortung im Personenschadensrecht gerecht wird.
Vielleicht kommt es aber auch anders und der Geschädigte sowie dessen Anwalt haben in naher Zukunft einen hochqualifizierten Chatbot auf Seiten des Versicherers gegenüber, der „24/7“ für Probleme und Anliegen ansprechbar ist und für angemessene und zeitnahe Lösungen sorgt, weil vielleicht doch noch ein qualifizierter Mensch und Sachbearbeiter im Hintergrund regulierend eingreift.
Dieser Beitrag ist ein lediglich subjektiver Eindruck, eine Momentaufnahme, die ohne Zuhilfenahme von „ChatGPT“ verfasst wurde. Wir würden uns sowohl über zustimmende als auch kritische Anmerkungen gleichermaßen freuen, ebenso wie über konträre Wahrnehmungen und Rückmeldungen. Suchen Sie mit uns das Gespräch!