Der BGH hat sich bei der Bewertung eines Schmerzensgeldanspruches bei sog. „Schockschäden“, also bei Fällen, in denen der Anspruchsteller nicht unmittelbar selbst betroffen ist, sondern die erhebliche Rechtsgutsverletzung einen nahen Angehörigen betrifft, durch eine erweiterte Auslegung des Tatbestandsmerkmales des Gesundheitsschadens dahingehend korrigiert, dass ein Anspruch bei mittelbaren Schäden bereits dann besteht, wenn eine
BGH: Urteil vom 06.12.2022 – VI ZR 168/21
Zum Sachverhalt
Die Tochter des Klägers wurde im Alter von fünf und sechs Jahren von dem Beklagten sexuell missbraucht. Der Beklagte wurde u.a. wegen sexuellen Missbrauchs der Tochter des Klägers in zehn Fällen rechtskräftig verurteilt.
Der Kläger erlitt eine tiefgreifende reaktive depressive Verstimmung, aufgrund derer er sich in therapeutische Behandlung begab und aufgrund derer bei ihm eine länger andauernde Arbeitsunfähigkeit bestand. Ein psychiatrisches Gutachten bestätigte das Vorliegen einer psychischen Störung.
Leitsatz:
Bei sogenannten „Schockschäden“ stellt – wie im Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung – eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des
§ 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind (insoweit Aufgabe Senatsurteil vom 21.Mai 2019 – VI ZR,299/17, BGHZ 222,125 Rn. 7 m.w.N.).
Aus den Gründen:
Eine Gesundheitsverletzung des Klägers im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB liegt nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen in Form einer psychischen Störung vor.
Nach ständiger Senatsrechtsprechung können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Dieser Grundsatz hat nach der bisherigen Senatsrechtsprechung, die auch das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, im Bereich der sogenannten „Schockschäden“ allerdings eine gewisse Einschränkung erfahren. Psychische Beeinträchtigungen sollen in diesen Fällen nur dann als Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffenen beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.
An dieser einschränkenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsverletzung, die in der Literatur verbreitet auf Kritik gestoßen ist, hält der Senat nicht länger fest. Bei sogenannten „Schockschäden“ stellt – wie im Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung – eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung der Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.
Der Senat hält diese Änderung im Sinne einer konsequenten Gleichstellung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB für geboten.
Wir von Mittelstädt + Partner wissen:
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